Mit zwei Olympiasiegen und mehreren WM-Titeln zählt Thomas Geierspichler (40) zu den erfolgreichsten Behindertensportlern Österreichs. Dass es bei den Paralympics in Rio de Janeiro nicht nach Wunsch lief, ist für den Anifer keine Tragödie. Helmut Millinger sprach mit dem Salzburger:
Du hast dich vier Jahre auf die Paralympics vorbereitet und täglich vier bis sechs Stunden trainiert. Wie groß ist die Enttäuschung, dass du mit leeren Händen aus Brasilien zurückgekommen bist?
Im ersten Moment tut es schon sehr weh. Das ist auch ganz normal, weil es das Ziel sein muss, auf den Punkt voll da zu sein. Wäre ich nicht enttäuscht, würde mir das Rennrollstuhlfahren nichts mehr bedeuten. Gegen einen Virus ist man aber machtlos und es war sicher der denkbar Ungünstigste Zeitpunkt für eine Infektion, den es geben kann.
An der Vorbereitung ist es also nicht gelegen, dass du diesmal keine Medaille gewonnen hast?
Nein, ich war mental und körperlich super vorbereitet. Mit den Zeiten, die ich heuer schon gefahren bin, hätte ich in Rio zwei Mal Bronze gewinnen können. Natürlich ist es bitter, wenn einem dann ein Virus einen Strich durch die Rechnung macht. Man muss aber lernen, so etwas hinzunehmen. Es sind schon schlimmere Sachen in meinem Leben passiert und ich bin mir sicher, dass ich auch diesen Rückschlag gut verarbeiten kann.
Wegen der Virusinfektion konntest du nicht am Rennen über 1.500 Meter teilnehmen, in dem die Medaillenchancen am größten gewesen wären. Hat dich die Krankheit auch schon in den beiden vorhergehenden Wettkämpfen geschwächt?
Ja, definitiv. Unsere Teamärztin hat mir das auch im Nachhinein bestätigt. Ich Bin schon beim 400-Meter-Rennen einfach nicht in Schwung gekommen, vor den Paralympics war ich über diese Distanz durch die Bank um zwei Sekunden schneller. Am Tag nach dem Wettkampf hatte ich dann 39,2 Grad Fieber. Die Ärzte haben ein Startverbot ausgesprochen, weil das Risiko einer Erkrankung der Herzkranzgefäße oder sogar eines Herzinfarkts bestand. Als das Fieber nicht gesunken ist und sich die letzte Hoffnung auf das 1.500-Meter-Rennen zerschlagen hat, sind mir die Tränen gekommen. In solchen Momenten fangen selbst die stärksten Männer an zu weinen.
1994 hattest du als 18-Jähriger einen Autounfall und bist seither querschnittgelähmt. Aus dem tiefen Loch, in das du danach gefallen bist, hast du dich mit Hilfe des Glaubens selbst wieder herausgezogen. Wären deine sportlichen Erfolge auch ohne die Kraft des Glaubens möglich gewesen?
Das kann ich klipp und klar mit Nein beantworten. Oft heißt es, der Sport hat mir geholfen, etwas aus meinem Leben zu machen. Ich finde aber, das tiefere Fundament ist der Glaube, weil ich ohne ihn meinen Weg nicht gefunden hätte. Der Unfall hat mir den Boden unter den Füßen weggezogen. Ich habe mich immer mehr zurückgezogen, getrunken, gekifft und zwei Päckchen Zigaretten pro Tag geraucht. Der Glaube hat mich mit mir selbst ins Reine gebracht, durch ihn weiß ich, wer Ich bin und was ich will. Der Sport war nur das Ventil, um mich auszudrücken.
Wird ein junger Mensch, der die Bibel als sein Lieblingsbuch bezeichnet und sich dazu bekennt, zu beten, nicht von vielen belächelt?
Wenn einer das tut, denke ich mir: Der weiß es halt nicht besser. Irgendwann kommt jeder an diesen Punkt. Wer durch die Scheiße gegangen ist, weiß, dass man einen Glauben braucht, egal wie auch immer der ausschaut. Auch jemand wie David Alaba, der ein Idol für viele junge Fußballfans ist, öffentlich zum Glauben. Meine Einstellung hat mir große sportliche Erfolge ermöglicht. Für mich ist das der Beweis, dass er funktioniert. Das hat nichts mit dem Beten in der Kirche zu tun, auch wenn ich das nicht verurteile. Ich praktiziere den Glauben auf meine eigene Art und Weise, das kann zu Hause sein, beim Trainieren oder wo auch immer.
Du bist im April 40 geworden. Kannst du dir vorstellen, in vier Jahren noch einmal an den Paralympics teilzunehmen?
Ausschließen würde ich es nicht. Ich habe schon vor Rio gesagt, dass ich noch zwei Jahre weiterfahren möchte, unabhängig davon, wie ich dort abschneide. Bei den Weltmeisterschaften, die 2017 in London stattfinden werden, will ich auf Alle Fälle dabei sein. Wenn es mich in zwei Jahren noch interessiert und meine innere Stimme sagt, tu weiter, dann setze ich meine Karriere bis zu den Paralympics 2020 fort. Sonst höre ich halt auf.
Du hast in den letzten Jahren immer wieder kritisiert, dass im Behindertensport Klassen zusammengelegt werden und deshalb Athleten mit unterschiedlichen Beeinträchtigungen gegeneinander Antreten müssen. Macht dir diese Entwicklung nicht den Abschied leichter?
Nein, ganz im Gegenteil. Einer der Gründe, warum ich diesen Sport noch betreibe, ist, um auf diese enorme Chancenungleichheit hinzuweisen. In der Öffentlichkeit wird gern der Eindruck erweckt, bei den Paralympics werde sehr viel für die Behinderten getan. Wenn aber jetzt alles darauf hinausläuft, dass nur mehr Behinderte mit leichteren Beeinträchtigungen teilnehmen, weil die anderen keine Chance auf eine Medaille haben, halte ich das für eine fatale Fehlentwicklung. In unserer Klasse fahren Leute mit, die dort eigentlich nichts verloren haben, weil sie körperlich wesentlich bessere Bedingungen haben als ich. Es geht aber in erster Linie nicht um mich, sondern um die Zukunft des Behindertensports.
In letzter Zeit hast du dich auch im Rollstuhltennis versucht. Könnte das deine sportliche Zukunft nach dem Rennrollstuhlfahren sein?
Das ist nicht ausgeschlossen. Man wird mich sicher öfter auf dem Tennisplatz finden, weil mir dieser Sport sehr viel Spaß macht. Ich bin schon Staatsmeister geworden und habe als erster Österreicher in meiner Kategorie ein internationales Tennisturnier gewonnen. Da wäre also sicher Potenzial für Größeres vorhanden. Ich möchte mir aber keinen Druck machen, mein Hauptjob bleibt bis auf Weiteres das Rennrollstuhlfahren.
Wie wird dein Leben nach der Sportkarriere aussehen? Hast du dir darüber schon Gedanken gemacht?
Das kann ich jetzt noch nicht sagen. Wir haben zu Hause am Reschbergerhof in Anif vier Apartments, die wir vermieten. Außerdem bin ich viel mit meinen Motivationsvorträgen und anderen öffentlichen Auftritten unterwegs. Das macht mir nicht nur Spaß, sondern ist auch etwas sehr Sinnvolles in meinem Leben. Mittlerweile werde ich schon zu Vorträgen nach Deutschland und in die Schweiz eingeladen. Wenn ich mehr Zeit habe, möchte ich diese Schiene auf alle Fälle ausbauen.
Ist eine eigene Familie für dich ein Thema?
Ja, irgendwann möchte ich auf alle Fälle Kinder. Das ist etwas, was ich zwar nicht weggeschoben habe, aber für das bisher nie Zeit und Platz da war. Ich werde hier, wie bei all meinen Entscheidungen, auf meine innere Stimme hören. Die biologische Uhr darf ich aber auch nicht ganz außer Acht lassen (lacht!).
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